Eine abenteuerliche Nacht

Die Staumauer Grande Dixence liegt am Dixence an der Spitze des Val d’Hérémence im Kanton Wallis in der Schweiz. Mit einer Höhe von 285 Meter ist die Grande Dixence die höchste Gewichtsstaumauer der Welt. Um der steigenden Nachfrage nach Strom nachzukommen, wurde 1951 das grosse Projekt der Grande Dixence entwickelt. Im Jahr 1964 war ihr Bau abgeschlossen und seitdem ist sie eines der wichtigsten Wasserkraftwerke der Schweiz. 

 

Vor fast 50 Jahren spielte die Staumauer eine wichtige Rolle im Protest gegen den Vietnamkrieg. Die Geschichte begann im Jahr 1917, als die Russische Revolution von Lenin durchgeführt wurde. Leon Trotzki arbeitete während der Revolution mit Lenin zusammen. Aber er meinte, der Sieg bedeute nicht das Ende der Revolution, sondern die Revolution dürfe nicht aufhören, solange der fortgeschrittene Sozialismus noch nicht erreicht sei. Er entwickelte die berühmte Theorie  der „Permanenten Revolution“. 

 

1915 flüchtete Trotsky als Asylsuchender in der Schweiz, wo er für die "Internationale sozialistische Konferenz" in Zimmerwald bei Bern ein Manifest verfasste, auf das sich die Revolutionären Marxistische Liga (die RML) stützte, die nach dem 2. Weltkrieg mit Sitz in Lausanne gegründet wurde. 

Im Jahr 1970 gründete die RML eine Sektion in Zürich, wo ein Jahr später, 1972, der 21-jähriger Pietro Maggi ein Mitglied wurde. Zur selben Zeit war der Höhepunkt des Protestes gegen den Vietnamkrieg in den USA und in Europa. Die RML beschloss, dass man als Protest gegen die Bombardierung der Dämme im „Roten Fluss“ in Vietnam durch B-52-Kampfflugzeuge auf der grössten Staumauer in der Schweiz „der Grande Dixence“ einen Protest schreiben sollte: 

„VIETNAM HALTE AU BOMBARDEMENT DES DIGUES“

 (auf Deutsche: Stoppt die Bombardierung der Dämme in Vietnam)

 

Die Vorbereitung der Aktion, an der Pietro Maggi teilnahm, fand in Lausanne statt, über drei Woche lang, mit etwa 30 Leuten. Sie mussten den Ablaufplan auswendig lernen, das Material einkaufen und die individuellen Verantwortungen zuteilen. 

 

Plötzlich kam die erwartete Nacht. Sie fuhren mit dem Bus bis zum Parkplatz im Tal. Dann stiegen sie in der Dunkelheit mit allen Materialien in ungefähr 1.5 Stunde durch die Büsche nach oben. Sie konnten den Wanderweg nicht benutzen, da sie vom Tal aus ersichtlich gewesen wären(siehe Bild 1).

Als sie die Krone der Staumauer erreichten, bereiteten sie sich noch 1.5 Stunde lang vor. Die Farbe wurde in einen Container mit einem Schlauch gegossen. Sobald die Schlauchspitze niedriger als der Container ist, fliesst die Farbe. Die Richtung des Containers und des Schlauches wurde von zehn Leuten kontrolliert: vier waren vorne und sechs waren hinten. Ein Kommandant, „Schriftführer“ genannt, war zuständig für die Befehle und Anweisungen (siehe Bild 2).

Während der Schreibzeit blieb jemand als Wächter unten im Tal. Er hatte eine grosse starke Taschenlampe, womit er ein Signal hätte geben können, falls jemand gekommen wäre. Dummerweise war er ganz alleine im Tal. Plötzlich musste er austreten und brauchte dazu die Taschenlampe. Die Leute, die auf der Staumauer standen, dachten, dass es das Signal war, zu flüchten. Die Farbmaterialien samt Container wurden ins Wasser weggeworfen und sie flüchteten über die Berge ins Tal (siehe Bild 1). Aufgrund des Fehlalarms schafften sie es leider nicht alle Wörter zu schreiben. Sie schrieben nur „VIET“.

 

Am Morgen danach kamen sie wieder in Lausanne an. Während der nächsten 4-5 Tage versteckten sie sich in einem Keller. Entscheidend war, dass ein Tag später ein Text und eine Luftaufnahme in der NZZ über die Aktion erschien. Wer das Bild sah, merkte sofort, dass es ein Protest gegen Vietnamkrieg war. Da der Korrespondent der NZZ die Gruppe kannte, schrieb er, das könne nur die RML sein. Zum Glück gab es keine Beweise gegen die RML. Nach der NZZ griffen in den nächsten Tagen die anderen Zeitungen die Geschichte auf.

 

Obwohl sie den Satz nicht fertig schrieben, erreichten sie das Hauptziel: die Leute auf die Grausamkeiten im Vietnamkrieg aufmerksam zu machen.



Vebi Oei & Pietro Maggi