Prager Frühling

Dieses Jahr habe ich einen einzigartigen Deutschkurs besucht: Deutsch im realen Kontext. Der Kurs fand im April und Mai jeden Mittwoch im Alterszentrum Limmat der Stadt Zürich statt, wo ich Sarka, eine Bewohnerin vom [1]Alterszentrum, traf. Sie ist eine liebe und faszinierende Frau, die aus Prag kommt, und die seit 40 Jahren in der Schweiz lebt. Mit ihr sprach ich viel über unser vergangenes und gegenwärtiges Leben. Jedes Mal unterhielten wir uns so gut, dass die Zeit flog. Blitzschnell war schon der Moment da, um sich zu verabschieden. 

Für diesen Kurs war meine Aufgabe, mit Sarka über die Ereignisse im Jahr 1968 zu sprechen und dann einen entsprechenden Text zu schreiben, in welchem, ihre Erinnerungen an diese Zeit geschildert werden. Das folgt nun hier.

Sarka´s Erinnerung an diese Zeit sind anders als das, was man erwarten würde, und sie denkt nicht so gerne an diese Jahre. Im Jahr 1968 wohnte sie noch in Prag, einer Stadt, wo die Probleme anders waren als in der westlichen Welt. Sarka war Mutter eines Sohns, den sie alleine erziehen musste. Deswegen musste sie den ganzen Tag im Büro arbeiten sowie am Abend als Putzfrau. Sie hatte keine Zeit und Interesse für die Politik, da Ihre Priorität die Familie war. Sie verbrachte die Ferien bei ihren Eltern, die in einem Kurort in der Nähe von Prag wohnten.

Nach dem zweiten Weltkrieg hatte die Tschechoslowakei eine kommunistische Regierung. Zusammen mit anderen Staaten, als Satelliten- Staaten bekannt, stand die Tschechoslowakei unter sowjetischer Kontrolle und „Schutz“. Sarka nennt die Sowjetunion ironischerweise „der grosse Bruder“. Damals musste jeder in der kommunistischen Partei aktiv sein. Ihr, als alleinerziehenden Mutter, hatte man eine Ausnahme erlaubt, da sie keine Zeit für die Tätigkeiten in der Partei hatte. Unter der kommunistischen Regierung begannen einige Schriftsteller, Künstler und Journalisten gegen die Zensur zu protestieren, um mehr Pressefreiheit und Meinungsfreiheit zu haben. Die Regierung hat die Russen zu Hilfe gerufen, weil sie Angst hatte, die Macht über die Stadt zu verlieren.

 

 

Sarka erzählt, dass die Russen in einer Nacht kamen, um Prag zu besetzen. Die Soldaten waren in das Land einmarschiert. Plötzlich wurde sie von einer Nachbarin aufgeweckt, welche die Nachricht im Radio gehört hatte. Ab dem Tag danach gab es überall Militär und Panzer. Sie erinnert sich daran, dass Rohstoffe nach Russland abtransportiert wurden, besonders Uran, das in der Tschechoslowakei in grossen Mengen vorhanden war. 

Acht Jahre später verliebte sich Sarka in einen Schweizer. Sie heirateten und zogen zusammen in 1978 in die Schweiz um. Apropos 1968 und Frauenstimmrecht in der Schweiz: Sarka erzählte stolz, dass in Prag alle Frauen arbeiten gingen und schon seit langem ein Stimmrechte hatten. Dagegen konnten die Frauen in der Schweiz erst im Jahr 1971 abstimmen. 

Sarka ist eine schöne und nette Frau, mit welcher alle gerne sprechen. Ihre grün-grauen Augen haben viel im Leben gesehen und trotz vieler Schwierigkeiten bleibt sie voller Humor und positiver Stimmung. Andere Leute fühlen sich wohl mit ihr, so dass sie ihr ihre Probleme erzählen. Ich sage Sarka, dass mir das auch oft passiere. Das haben wir gemeinsam. Sie antwortete: "Wir können beide gut zuhören." 

Die Begegnung mit Sarka war für mich eine sehr positive Erfahrung, nicht nur für meine Deutschkenntnisse, sondern ganz speziell für die kulturelle Bereicherung und die zwischenmenschliche Beziehung. Ich danke dir ganz herzliche Sarka, ich habe viel von dir gelernt.



Alessia Zecca Mazza & Sarka Landert